Weg mit der Bürokratie
Vor einigen Jahren traf ich einen arabischen Geschäftsmann. Für wichtige Verhandlungen in seiner Heimat reiste er stets bereits am Vorabend an, um mit seinen Gesprächspartnern stundenlang zu rauchen und zu essen. So entstand Vertrauen. An Deutschland schätzte er hingegen die klaren Strukturen: Sie ermöglichten es, zügig zur Sache zu kommen. Unsere Bürokratie war für ihn kein Hemmnis, sondern eine Zeitersparnis.
Ursachen der Bürokratie
Heute frage ich mich, ob er noch genauso begeistert wäre. Mittlerweile gilt unsere Regelungsdichte oft als kostspielig, zeitaufwendig und hinderlich. Wie also können Unternehmen – und vielleicht auch die Gesellschaft insgesamt – diese Bürokratie wieder abbauen?
Der Ursprung war sinnvoll: Bürokratie sollte Vertrauen ersetzen. Was geregelt ist, muss man nicht mehr glauben, denn man kann sich darauf berufen. Nicht jede Form von Bürokratie ist also per se schlecht.
Mit der Zeit jedoch entsteht ein Übermaß an Bürokratie. Keine Regel kann alle Eventualitäten abdecken. Jede neue Vorschrift offenbart neue (noch kleinere) Lücken und so beginnt ein Teufelskreis aus immer weiter um sich greifender Regulierung. Die eigentliche Ursache dieses Wildwuchses ist ein Mangel an Vertrauen – vor allem das Vertrauen in andere, aber auch in sich selbst, Unvorhergesehenes meistern zu können.
Mehr Vertrauen aufbauen
Wenn Vertrauen die Bürokratie eindämmen kann, dann muss man doch nur das Vertrauen erhöhen. Klingt einfach, oder? Nun ganz so einfach ist es nicht. Vertrauen bedeutet, ein Risiko einzugehen. Und Risiken meiden wir Menschen instinktiv. Erst wenn die potenzielle Belohnung das Risiko deutlich überwiegt, sind wir bereit, es einzugehen.
Das Risiko als erster eine Regelung über Bord zu werfen, ist immens. Ist einem doch der Spott der anderen gewiss, wenn es schiefgeht. Und so verwundert es nicht, wenn in einer Organisation die Regulierungswut eine ganze Weile schon ihr Unwesen getrieben hat. Wo soll man anfangen? Wer sich zuerst aus dem Fenster lehnt, kann schnell herausfallen.
Was nicht funktioniert
Beauftragte. Ihre Ernennung zeigt zwar, dass das Problem erkannt wurde. Das ist anzuerkennen. Nur wurde etwas delegiert, was nicht delegiert werden kann. Denn Bürokratieabbau kann nur gelingen, wenn alle mitmachen. Da man ihn nun „beauftragt“ hat, ist die Sache erst einmal vom eigenen Tisch. Und der Beauftragter steht allein da. Der arme!
Oder noch „besser“: eine Abteilung oder gar ein Ministerium für Bürokratieabbau. Das Ergebnis ist das gleiche wie beim Beauftragten, nur wesentlich teurer. Der Versuch, Bürokratie mit mehr Bürokratie zu verringern, ist nicht nur wirkungslos, er führt sogar zum genauen Gegenteil: noch mehr Bürokratie.
Vertrauen vorleben
Vielleicht haben Sie schon mal in einem Startup gearbeitet. Da hatte man keine Zeit für Bürokratie. Und es lief trotzdem, oder gerade deswegen. Warum? Man hatte ein gemeinsames und lohnendes Ziel, an dem man sich ausrichtete. Bürokratie war auf einem Minimum, weil man am gleichen Strang zog.
Ist das Ziel klar, weiß man, was zu tun ist und kann darauf vertrauen, dass andere ebenso handeln. Nicht umsonst heißt es, dass die besten Geschäfte per Handschlag abgeschlossen werden.
Geben Sie als das gemeinsame Ziel aus: Fünfe gerade sein lassen. Kommunizieren sie das transparent und offen. Sie müssen das Motto nicht gleich über den Firmeneingang anbringen (siehe Bild). Ein Plakat in der Nähe des Eingangs tut es auch.
Natürlich ist es hilfreich, dabei mit gutem Beispiel voranzugehen. Etwa indem Sie nicht drauf bestehen, bei allen „wichtigen“ Emails in cc gesetzt zu werden. Es sind die kleinen Dinge, die hier den Unterschied machen.
Die 5%-Regel
Apropos kleine Dinge. Da der Abbau von Regeln immer mit einem Risiko einhergeht, kann er ohnehin nur in kleinen Schritten gelingen. Geben Sie das Ziel aus, jeden Monat die Bürokratie etwa um 5% zu reduzieren:
- Welche Berichte können gestrichen werden?
- Auf welche Meetings können wir verzichten?
- Welche Kontrollen brauchen wir nicht mehr?
- Welche Arbeitsschritte können entfallen?
- Bei welchen Vereinbarungen reicht ein Handschlag vollkommen aus?
5% mögen bescheiden klingen. Kontinuierlich über ein Jahr erbracht, werden sie Ihre Bürokratie unweigerlich signifikant reduzieren.
Besprechen Sie diese kleinen Schritte im Team. Loben Sie sich. Ermutigen Sie sich, die nächsten 5% anzugehen. Gönnen Sie sich Belohnungen, wie beispielsweise am Eingang des Unternehmens ein Notizbrett aufzuhängen, an das jeder Mitarbeiter einen Zettel hängen kann, wo und wann er welche Vereinfachung erzielt hat. Das erzeugt Aufmerksamkeit und zeigt, dass es voran geht. Besuchen Sie den Mitarbeiter an seinem Arbeitsplatz und sprechen Sie ihre Anerkennung aus.
Fazit
Bürokratie ist nicht per se schlecht, sie schafft Struktur und ersetzt fehlendes Vertrauen. Doch wenn aus Regelungsfreude Regelungswut wird, droht sie zur Belastung zu werden. Der Schlüssel zum Abbau überbordender Bürokratie liegt in einer Kultur des Vertrauens. Statt neue Stellen oder Ministerien zu schaffen, braucht es das Engagement aller. Kleine, konsequente Schritte können Großes bewirken. Vertrauen vorleben, Verantwortung teilen und Erfolge sichtbar machen: So entsteht echte Veränderung.