Coaching ist keine Hilfe zur Selbsthilfe

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Der Klassiker unter den populären Irrtümern lautet:  Coaching ist Hilfe zur Selbsthilfe. Drei Argumente, warum das nicht nur falsch, sondern irreführend ist. *)

Aussage ist in sich widersprüchlich

Erstens ist diese Aussage paradox formuliert und damit missverständlich. Entweder man hilft einem anderen Menschen, oder er hilft sich selbst. Beides geht nicht, zumindest nicht gleichzeitig. Richtigerweise könnte es allenfalls lauten: Coaching ist zunächst Hilfe, damit sich der Klient später nach Abschluss des Coachings selbst helfen kann. Aber damit wäre Coaching an sich eine reine Hilfe. Oder ist es so gemeint, dass sich Hilfe und Selbsthilfe in einem Coaching permanent abwechseln? Beispielsweise erst 30 Minuten Hilfe, dann hilft sich der Klient zehn Minuten selbst, worauf der Coach wieder 20 Minuten hilft und so weiter. Dann wäre Coaching Fremdhilfe und Selbsthilfe. Aber auch damit gelangt man wiederum zu »Coaching ist eine Hilfe«, es sei denn, es gäbe noch etwas anderes als Fremd- oder Selbsthilfe.

Man kann es drehen und wenden wie man will – wenn man diese Aussage widerspruchsfrei und klar formulieren wollte, müsste sie lauten: Coaching ist eine Hilfe. Und damit sind wir beim zweiten Punkt.

Coaching ist gar keine Hilfe

Zweitens ist die Aussage »Coaching ist Hilfe zur Selbsthilfe« falsch, denn Coaching ist gar keine Hilfe, weder »Fremd-« noch »Selbst-«. Das Wort Hilfe hat in unserer Gesellschaft zwei Bedeutungen. Zum einen kann unter Hilfe verstanden werden, dass man jemand einen Teil seiner Arbeit abnimmt, ihn unterstützt. Wer einem Freund beim Umzug hilft, trägt einen Teil der Möbel und Umzugskisten für ihn. Wer einem Bekannten bei der Gartenarbeit helft, übernimmt beispielsweise einen Teil des Unkrautjätens für ihn. Um eine solche Hilfe geht es aber im Coaching – verstanden als professionelle Partnerschaft zur Zielerreichung – gerade nicht. Der Kunde soll sich seine Lösungen selbst erarbeiten. Coaching hat also mit dieser Bedeutung von Hilfe nichts zu tun.

Hilfe bedeutet zum anderen, dass der Helfende einen Wissens- und Know-how-Vorsprung hat und den anderen damit unterstützt. Zum Beispiel können Sie einer Fremden bei der Wegsuche helfen, wenn Sie sich selbst in dieser Stadt auskennen. Oder man kann jemand bei der Reparatur seines Wagens helfen, wenn man die dazu notwenigen Kenntnisse hat. Helfen bedeutet in diesem Sinn, etwas zu können oder zu wissen, das der andere nicht kann oder nicht weiß. Wer hilft, tut etwas für den anderen, das dieser nicht selbst kann. Nun kann ein Coach aber unmöglich für sich in Anspruch nehmen, in den Belangen des Kunden generell einen Wissens- oder Know-how-Vorsprung zu haben. Das mag manchmal der Fall sein, in der Regel aber nicht.

Ein bekannter Coach, wenn ich mich nicht täusche, war es Sir John Whitmore, hat einmal gesagt: »Der Coach, der in allen Belangen besser ist als sein Kunde, hat keine Kunden.« Ein guter Coach kann seinen Kunden auch – und gerade dann – coachen, wenn er diesen Vorsprung nicht hat. Denn wichtiger ist es, den Kunden zu ergänzen. Gute Partner ergänzen sich, sie sind nicht besser oder schlauer als der andere.

Aussage hat keine Trennschärfe

Das dritte Argument, das gegen die Verwendung von »Hilfe zur Selbsthilfe« im Coaching spricht, lautet, dass »Hilfe zur Selbsthilfe« nicht nur von Coaches benutzt, sondern auch zum Beispiel von Entwicklungshelfern und Streetworkern. Auch hier ist diese Aussage ein geflügeltes Wort. Ich kann zwar nicht beurteilen, ob sie hier zutreffender ist, aber die Verwendung eines Begriffs in so unterschiedlichen Gebieten zeigt, dass er keine Trennschärfe aufweist. Allein schon deshalb ist er wenig hilfreich.

Fazit

Coaching ist eine professionelle Partnerschaft zur Zielerreichung. Die Aussage „Coaching ist Hilfe zur Selbsthilfe“ ist widersprüchlich, inkorrekt und besitzt keine Trennschärfe zu anderen Beratungsformen und ist daher verwirrend. Coaching sollte klar definiert werden, um Missverständnisse zu vermeiden.

*) Hinweis

Der obige Text ist ein Auszug aus meinem Buch Coaching für Fortgeschrittene. Dort werden u.a. weitere populäre Irrtümer behandelt.